Bestatterin Helena Giuffrida denkt die Branche neu
Falls Sie das Wort „Bestatterin“ tippen würden, würde die Autokorrektur es zum „Bestatter“ korrigieren. Warum? Weil die Welt kaum weibliche Bestatterinnen kennt. Aber wir schon! Helena Giuffrida und ihr Unternehmen „Atelier Magnolia Bestattungen“ sind gerade bei uns eingezogen. „Besonders wie das Leben“ heißt der Slogan von „Magnolia“. In der Bestattungsbrache ist Helena eine Rebellin, denn sie versucht die längst kommerzialisierte Branche zurück zum Ursprung zu bringen. Sie hat uns erzählt, wie das klappt.
Im Gespräch mit Helena Giuffrida war Džordana Graicevičiūtė
Was ist dein Unternehmen?
„Atelier Magnolia Bestattungen“ ist ein Bestattungsinstitut, das ich vor 3,5 Jahren gegründet habe. Vor „Magnolia“ habe ich 10 Jahre in diesem Beruf agiert und viel von anderen Bestattern gelernt, jedoch auch viel gesehen, was ich hätte anders machen wollen. Ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass eine gut organisierte und gleichzeitig auf die Angehörigen sowie auch auf den Verstobenen maßgeschneiderte Bestattung möglich ist, auch wenn man dies vielleicht nicht glaubt.
Was ist denn bei Bestattungen üblich und was machst du anders?
Üblich sind Bestattungen mit bestimmten Parametern, die Kund*innen meistens auch erwarten: Klassisches Beispiel ist der Sarg. Um die Würde des Verstorbenen hervorheben zu können, sollte dieser angeblich teuer und prachtvoll sein. Oder man rät davon ab, die Verstorbenen noch ein letztes Mal anzuschauen. Für mich sind dies zum Teil nur Klischees, die nur erfunden wurden, um Geld zu verdienen.
Wenn ich einen Auftrag bekomme, interessiere ich mich in erster Linie für den*die Verstorbene und dessen Angehörige, bevor ich mich um die Formalien, welche mit einem Sterbefall einhergehen, kümmere. Im Grunde die drei „W`s: „Wer war diese Person? Wie ist ihre Biographie? Und wie ist sie verstorben? Das selbe Interesse gilt auch den Angehörigen. Ich empfinde es eher heilsam, den oder die Verstorbene vor dem Begräbnis nochmal anzusehen. Die Erfahrung zeigt, dass eine Abschiednahme am offenen Sarg eher Frieden im Herzen bringt und im keinen Fall das lebendige Bild der Erinnerung überschreibt. Ich finde es den Toten gegenüber eher ungerecht, sie „unsichtbar“ zu machen. Er/Sie war jemandes Vater, Schwester, Mutter, Freundin usw. Interessant ist, dass die Frage des „Sichtbarseins“ bei einem verstorbenen Kind nie aufkommt. Beim Tod eines Kindes scheuen sich Eltern bei uns nie, ihr Kind noch mal zu sehen, bevor der Sarg geschlossen wird. Irgendwie ist dieser natürliche Umgang mit dem Verstorbenen heutzutage verloren gegangen.
Bist du also Rebellin in der Bestattungsbrache?
Ich sehe mich eher als eine sehr traditionelle Bestatterin. Wenn man an ein Dorf in der Vergangenheit denkt, wo der Bestatter zu einem nach Hause kam, gemeinsam mit der Familie am Tisch saß, den Toten, der noch im Schlafzimmer lag, wusch - so wird es auch bei „Magnolia“ gemacht. Alles bleibt persönlich und in einer Hand.
Durch Industrialisierung und das schnelle Wachstum der Städte hat sich die Bestattungsbranche in eine Richtung entwickelt, die Quantität in den Vordergrund stelle. Darunter leidet die Individualität. Dadurch ist vielleicht auch die Tabuisierung des Todes entstanden.
Warum sind in dieser Branche Frauen eine Ausnahme?
Dieser Beruf war immer in männlicher Hand, da der Bestatter früher ein Tischler war. Tischler haben Särge gebaut und mit der Zeit haben sie sich auch um den Rest gekümmert.
Heute merke ich oft, dass sich die Hinterbliebenen sogar freuen, wenn eine Frau sich um ihre Verstorbenen kümmert, insbesondere wenn der Tote auch eine Frau ist. Warum es so ist, müsste man sie fragen.
Die Arbeit scheint emotional ziemlich belastend zu sein?
Belastend sind für mich Banalitäten wie schauen, ob die Stifte in Büro alle funktionieren, das Papier im Drucker richtig eingelegt ist etc. Aber den Rest der Arbeit liebe ich. Ich fahre gerne durch die ganze Stadt, lerne die Familien kennen, hole die Leiche ab, kümmere mich um die Toten, organisiere ihre Abschiednahme usw.
Wie bist du zu so einem unüblichen Beruf gekommen?
Ich war verheiratet mit dem Vater meines Sohnes, Bruno, der mit 40 an Krebs erkrankt ist und fünf Jahre später an der Krankheit verstarb. Plötzlich kam ein Gefühl, das ich bis dahin nicht kannte - das Gefühl der Endlichkeit. Er war ein australischer Musiker, eine kreative Seele und er wollte partout nicht im Krankenhaus oder Hospiz sterben, sondern zu Hause. In den eigenen vier Wänden fing der Alltag des Sterbens an. Seine neue Frau und ich haben uns zusammengetan, um uns um ihn, die gemeinsamen Kinder und den Alltag zu kümmern. Sein bevorstehender Tod hat uns zu einem gut funktionierenden Team gemacht.
Es hat ein halbes Jahr gedauert, bis er fort war. Ich war oft in seiner Wohnung und kam mit ihm auf die Idee, einen Film über ihn zu drehen, damit seine Kinder von ihrem Vater eines Tages mehr erfahren könnten. Zwischendurch kam ein Bestatter zu uns, mit dem Bruno seine Trauerfeier plante. Ich fand diesen Bestatter irgendwie besonders und habe auch ihn bei den Gesprächen mit Bruno mit meiner Kamera aufgenommen. Nach der Beerdigung habe ich mit ihm noch mehrere Interviews geführt und wir haben uns dadurch angefreundet. Dank ihm habe ich zum ersten Mal verstanden, was für ein wunderbarerer Beruf das ist.
Und dann hast du „Magnolia“ gegründet?
Nicht sofort. Vier Jahre später verstarb auch mein Vater. Ich fühlte mich ermutigt, seine Bestattung zu organisieren, weil ich bereits viel durch den Tod von Bruno miterleben durfte. So habe ich in meiner Familie die Rolle einer Bestatterin übernommen. Das bedeutet, ich habe ihn zusammen mit meiner Schwester angezogen, meine Mutter, die total ängstlich war, überzeugen können, ihn im Wohnzimmer aufzubahren. Die Nachbarn kamen vorbei, es wurde gesungen. Mein Neffe, der damals erst 6 Jahre alt war, hat das Geschehen interessiert verfolgt und die anfängliche Berührungsangst hat nachgelassen, bis er sogar seinen Opa auf die Stirn geküsst hat. Im Grunde kann man sagen, der Beruf ist zu mir gekommen und so kam ich auf die Idee, mein eigenes Unternehmen zu gründen.
Es war mir auch klar, dass ich noch viel lernen musste. Was passiert, wenn ich die Toten sehe, die ich nicht kenne. Wie ich mich in der Gegenwart mehrerer Toten fühle und ob ich sie versorgen kann? Was passiert, wenn ich ein totes Kind sehe?
Ich habe mit einem Praktikum beim Bestatter angefangen. Am Anfang hatte ich große Angst, den Raum mit dem Toten zu betreten. Und zum ersten Mal einen Toten zu versorgen, war kein leichtes Unterfangen. Ich musste mich mehrere Male überwinden. Auch die Trauerfeiern haben mich zutiefst berührt und jedes Mal musste ich dabei weinen, was eigentlich nicht passieren sollte, da ich für die Angehörigen als Bestatterin da sein möchte.
Nach dem Praktikum habe ich eine Stelle in einer Bestattungskette bekommen. Ich habe viel gelernt, u.a. auch, was ich nicht machen möchte. Ich empfand diese Bestattungen sehr unpersönlich. Zum Beispiel die Tatsache, dass die Hinterbliebenen mich erst am Tag der Beerdigung kennenlernten, oder zu bemerken, dass alle Trauerreden sehr ähnlich und der Person nicht gerecht waren. Ich wurde aus dieser Firma fristlos entlassen. Dies war ein Segen für mich und gleichzeitig der Startschuss für „Magnolia“.
Lass uns über den Anfang deiner Selbständigkeit reden. Wie war er?
Am Anfang wollte ich keinen Laden haben, sondern mobil bleiben. Ich habe mich wie ein Notarzt gesehen, immer vor Ort und erreichbar, wenn ich gebraucht werde. Ich habe parallel meinen Lebensunterhalt in einem italienischen Restaurant als Köchin verdient. Manchmal hat jemand mich angerufen, als ich in der Küche war. Dann schob ich die Töpfe schnell zur Seite und ging ran: „Magnolia Bestattungen“. Ich muss mich hier bei meiner damaligen Chefin bedanken, dass sie an mich geglaubt hat und mich das hat machen lassen. Ich habe alle Aufträge angenommen, die kamen, aber es lief nicht so, wie es sollte. Mir fehlte noch eine unternehmerische Denkweise. So habe ich angefangen, mein Netzwerk zu erweitern und in mich und meine Idee zu investieren.
Ich bin einem Netzwerk der mittelständigen Unternehmen beigetreten, weil ich dachte, da lerne ich vielleicht was von anderen Unternehmer*innen. So bin ich, neben der Arbeit in der Küche und der Selbständigkeit, jeden Freitag um 5 Uhr morgens nach Zehlendorf gefahren und habe an Meetings teilgenommen.
Ich hatte bereits zwei Geschäftspartnerinnen, jedoch hat dies nicht funktioniert, wie zu Beginn geplant war. Ich wurde dazu noch mehrmals betrogen, habe dumm investiert, zweimal vor Gericht verloren. Ich glaube, ich habe alle möglichen Fehler gemacht, die man zu Beginn macht, bis ich endlich richtig loslegen konnte.
Wie siehst du die Zukunft deines Geschäfts?
In der Zukunft kann ich mir mein Unternehmen eher als Familienbetrieb vorstellen. Mein Sohn möchte seinen Führerschein machen und wird sich bald anschließen. Mittlerweile haben sich zwei neue „Magnolien“ angeschlossen: Jamina und Pidi, die mich wunderbar unterstützen und ich ihnen dafür unglaublich dankbar bin.
Mit „Magnolia“ möchte ich mich als Bestatterin etablieren, die schöne Abschiede gestaltet, und dass der Name „Magnolia“ mit einer Lebensfeier als Trauerfeier in Verbindung gebracht wird. Ich wünsche mir, dass die Menschen, mit denen wir in Kontakt kommen, sich gut aufgehoben fühlen und ihnen vielleicht ein Stück Angst von der eigenen Endlichkeit genommen wird.
Wie bist du auf die WeiberWirtschaft gekommen?
Die WeiberWirtschaft kenne ich seit Langem. Vor vielen Jahren war ich in der Gründerinnenzentrale, als ich noch ein Restaurant eröffnen wollte. Das war die erste Begegnung. Aber entscheidend war ein bestimmtes Ereignis. Als ich schon als Bestatterin gearbeitet habe, hat jemand mir einen Zettel an meinem Leichenwagen hinterlassen: Das war Konscha Schostak, selbst Mieterin in der WeiberWirtschaft und Gründerin von Memoria Stein. Sie hat sich vorgestellt und erzählt, dass sie Erinnerungssteine macht und schlug ein Treffen vor. So hat unsere Bekanntschaft angefangen. Dann habe ich auch die Geschäftsführerin Katja kennengelernt, mehr über den Gewerbehof erfahren und dann kam mir diese Idee, mein eigenes Büro zu haben. Ich war eine Weile auf der Warteliste und eines Tages kam der Anruf, dass ein Raum für mich frei wäre. Als ich dann hier mit meinen Sachen ankam, hat mich eine der Mieterinnen willkommen geheißen. Ich empfand dies als sehr rührend und verstand es als ein gutes Zeichen für den Beginn in der WeiberWirtschaft mit meinem Atelier Magnolia.
